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Arbeitsblatt: Gruppe 4 - Kapitän Schröder

Anleitung

Lesen Sie die Auszüge aus den Memoiren von Kapitän Gustav Schröder. Wie hat Kapitän Schröder die Atmosphäre auf der St. Louis geschildert? Wie ging er mit der Situation um? Lässt sich etwas über seine Gefühle / Gedanken/ psychische Verfassung aussagen?

Auszüge aus den Memoiren von Kapitän Gustav Schröder

Ein Vertreter des “Joint Committee” versicherte den Enttäuschten nunmehr, daß trotz dieser Schwierigkeiten alles Menschenmögliche getan werden würde, um ihre Rückkehr nach Deutschland zu verhindern. Dieser Ausspruch “Rückkehr nach Deutschland” hätte nicht fallen dürfen. Das war ein psychologischer Fehler! Die Beunruhigung unter den Passagieren wuchs. Es kam zu mehreren Selbstmordversuchen. Ein Jurist, Dr. Max Loewe, schnitt sich die Pulsadern durch und ließ sich über Bord fallen.

Ich selbst war auch deprimiert. Eine so melancholische Abfahrtsstimmung hatte ich noch nie erlebt. Besonders unruhig waren die Frauen, weil eine Zielangabe fehlte. “Kapitän, wohin fahren Sie uns?” Und zum erstenmal in meinem Leben konnte ich diese Frage nicht beantworten. Aber in enger Zusammenarbeit mit dem Bord-Komitee unterließ ich nichts, um den unglücklichen Menschen eine Heimat zu verschaffen, hatte ich doch von der Hamburg-Amerika Linie den Auftrag, für die Fahrgäste alles zu tun, was in meiner Macht lag.

Dabei ergrifft mich selbst ein Gefühl der Heimatlosigkeit. Mir war, als ob die ganze “St. Louis” von der Welt ausgestoßen sei und müßte jetzt versuchen, diesen ungastlichen Planeten zu verlassen; denn auf eine Anerkennung ihrer prosemitischen Haltung konnte die Besatzung des Schiffes bei der Regierung nicht rechnen. Aber gerade dieses Gefühl gab mir das volle Verständnis für die trostlose Lage meiner Passagiere…

Alle Hilfeleistungen hätten aber kaum etwas genützt, wenn die Fahrgäste selbst nicht so zugänglich gewesen wären. Ihr dankbares Abschiednehmen vor der Landung in Antwerpen war rührend und bewegte mich tief und unvergeßlich. Um so stärker empfinde ich deshalb auch die Trauer darüber, daß viele der Armen, die sich in Frankreich, Holland und Belgien in Sicherheit glaubten, später durch den wahnsinnigen Krieg doch noch in die Hände von Verbrechern fielen und umkamen. Der Gedanke, daß es Menschen gegeben hat, die erst im K.Z. waren, dann die Passionsfahrt der “St. Louis” mitmachten, später wieder verschleppt wurden, um schließlich im K.Z. elendig zu verenden, ist mehr als bedrückend.

Nur von wenigen der auf dem Festland untergebrachten Emigranten der “St. Louis” weiß ich, daß sie noch am Leben sind.

Von verschiedenen, besonders von Arthur Maschkowsky und Leo Haas bin ich gefragt worden, wie das ganze überhaupt möglich war, und wer das Landeverbot in Havanna erließ. Ich habe es nicht erfahren können und längst aufgegeben, es klarzustellen. Es liegt mir nicht, Schuldfragen zu klären, vielleicht leben die Menschen, die vom Schicksal ausersehen waren, eine entscheidende Rolle zu spielen, schon nicht mehr.

Ich muß da an einen alten Lehrer denken, der uns Schülern immer wieder Toleranz predigte. Es sagte nie ein böses Wort über einen Mitmenschen, nicht einmal über seine Widersacher. “Tragt euch gegenseitig nichts nach”, sagte er, “ein wirklich gebildeter Mensch tut das nicht. Wer etwas ausfrisst bestraft sich selbst viel mehr, als andere es tun können.”

In diesem Sinne lasse ich die Schuldfrage in Ehrfurcht auf sich beruhen. Wieviel schöner ist es da, von der Dankbarkeit zu reden, Dankbarkeit für alles Gute, das wir von anderen erfahren. So habe ich unzähligen Menschen zu danken, die mir halfen, unseren Passagieren auf der “St. Louis” das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Niemals aber möge die Mahnung vergessen werden, die das tragische Schicksal der schwergeprüften Passagiere des “Emigrantenschiffes” für die gesamte Menschheit bedeutet, damit sich Grausamkeit und Unmenschlichkeit, wo es auch immer sei, nie wieder breit machen können.

Quelle: Gustav Schröder, Heimatlos auf hoher See, Berlin: Beckerdruck, 1949

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